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In Sachen Arschloch-Papa

Da zerballert ein Sechsjähriger absichtlich beim Besuch der Oma mit dem Fußball die von ihr geschenkte Pflanze und nennt sie eine „dumme alte Frau“, als diese das nicht in Ordnung findet. Seinen Papa betitelt er als „Arschloch-Papa“. Die Oma macht sich Sorgen. Zu Recht?, fragt die Süddeutsche Zeitung und lässt drei Menschen zu Wort kommen. Unter anderem den dänischen Erziehungs-Guru Jesper Juul.

Credo der drei Befragten: Jede Familie muss ihre eigenen Regeln finden. Da darf man sich nicht einmischen. Oder: Ein Kind, das sowas macht, hat Probleme. Die gilt es zu erforschen. Da steckt doch sicher was dahinter, vielleicht verhält sich der Papa ja wirklich wie ein Arschloch? Oder, so Juul: Wenn ein Kind das sagt, redet die Familie vermutlich auch so. Also muss sie mit gutem Beispiel voran gehen. Oder: Wenn ein Kind den Papa Arschloch nennt, hat es einen guten Grund – darauf gilt es sofort einzugehen: Aha, du bist sauer. Was habe ich falsch gemacht?

Im Alltag leichter?

Zugegeben, auch ich habe Juuls Bücher als junge Mama gelesen und Positives heraus gezogen. Zum Beispiel habe ich es ernst genommen, wenn mein Dreikäsehoch beim Kochen helfen wollte, ihn auf die Arbeitsfläche gesetzt und mit dem Kochlöffel umrühren lassen, unter liebevoller Aufsicht versteht sich. War ja ein echter Topf und auch das Wasser darin wirklich heiß. Für diesen Tipp bin ich Juul dankbar, er hat viele Situationen im Alltag leichter gemacht. Kochen tut der Junior heute zwar nicht, er ist aber insgesamt gut geraten.

Auch er hat das ein oder andere Schimpfwort aus der Kita und später aus der Schule mitgebracht. „Du blöder kleiner Wichser!“ hat er seinem Papa mal gesagt, als er sauer war. Der ist aus allen Wolken gefallen und erst einmal durchgedreht. Falsche Reaktion. Wenn man Papa mit diesem Ausdruck so wundervoll in Rage bringen kann, wird er natürlich attraktiv. Wir habe das anders gelöst: Dem Kleinen klar gesagt, dass dieser Ausdruck sehr beleidigend ist und wir ihn nicht akzeptieren. Das heißt: Mit diesem Ausdruck (und ähnlichen) bewirkt er nichts. Ist er sauer und möchte das ausdrücken, kann er sagen. „Ich bin sauer!“ oder: „Das war blöd!“

Muss man wirklich immer alles erklären?

Lieber Jesper Juul: So vernünftig und liebevoll Ihr Tipp sich anhört: Ich bin nicht mit Ihnen einverstanden. Ist eine Äußerung wie „Arschloch“ Anlass für starke Zuwendung und Aufmerksamkeit, kann sich die Sache schnell zum Selbstläufer entwickeln. Ich finde es völlig in Ordnung, wenn man in der Erziehung auch hie und da einfach sagt: „Das geht nicht! No go!“ und eine Grenze setzt, die man nicht lang und breit erörtert. Danach kann man fragen, ob das Kind sauer ist. Nebenbei: Kinder, die bei bestimmten Ausdrücken und Verhaltensweisen kein klares „Nein!“ erfahren, nutzen sie häufig auch in anderen Situationen weiter, und nicht nur, wenn sie wirklich sauer sind. Vielleicht, um Beachtung und ein Mehr an Zuwendung zu bekommen, und das dann leider nicht nur im Elternhaus, sondern auch in der Schule. Und lernen dadurch: Ich stehe im Zentrum der Aufmerksamkeit und darf mir welche holen, wann immer ich will. In den 90’ern hat man diese Kinder „Kleine Tyrannen“ genannt. Inzwischen wird dieser Begriff kaum mehr genutzt, zu „normal“ ist dieses Verhalten und zu „überall“ anzutreffen. Ich denke, eben auch aufgrund vieler Erziehungstipps, die gut gemeint sind aber nicht gut wirken.

Da kämpfen nämlich inzwischen viele Lehrer in Klassen, in denen sie mit großer Regelmäßigkeit beschimpft werden, nicht nur gegen die verbalen Auswüchse in der Schule, sondern auch gegen die Eltern, die von den Lehrern verlangen, sich doch mal auf das ausrastende Kind einzulassen und in Erfahrung zu bringen, warum es sich denn so verhalte. Schließlich habe es dafür gute Gründe, es sei sensibel, und Lehrer seien doch schließlich als Pädagogen dafür zuständig, mit Kindern klar zu kommen.

Wer Aufmerksamkeit schenkt, verstärkt Verhalten – auch Unerwünschtes

Verhaltensweisen, die wir nicht akzeptabel finden, sollten wir direkt unterbinden, um sie nicht zu stärken. Das biologische Gesetz von Versuch und Irrtum (wirkt bei allen Säugetieren, also auch uns Menschen) lehrt nämlich: was „belohnt“ wird, und für das Gehirn heißt das, was unmittelbar positive, heißt angenehme Konsequenzen hat, wird im Gehirn verstärkt und wiederholt. Was unmittelbar unangenehme Konsequenzen hat, wird gestoppt. Wenn ein Kind, das ausrastet oder sich respektlos verhält, einige Male hintereinander durch intensive Zuwendung und Verständnis „belohnt“ wird, werden sich die Ausraster verstärken und wiederholen – entgegen aller Logik.

Denn Menschen sind keine logischen Wesen. Unsere Biologie spricht immer ein gewichtiges Wort mit. Warum wollen wir in Sachen Erziehung alles lieb und vernünftig haben? Weil wir uns dann als richtig gute Eltern fühlen können? Meiner Ansicht nach ist das Bullerbü. Der Traum von einer heilen Welt. Neurologisch leider nicht realistisch. Du bist nicht einverstanden?

Stell dir vor, dein Kind rennt los, in Richtung Straße, Vollgas. Was tust du instiktiv? Genau: Du brüllst „Stopp!“ so laut du kannst, du rennst hinter dem Kind her, schnappst es dir und schimpst, in der Regel sehr emotional weil erschrocken und erleichtert und laut und spontan: „Das darfst du nicht, das ist gefährlich, mach das nie wieder“ und so weiter. Du sagst nicht: „du hattest sicher einen guten Grund, auf die Straße rennen zu wollen, lass uns darüber reden.“ Und dein Kind, noch klein, versteht nicht, was an der Straße so gefährlich sein soll, weil die Vorstellung dieser Gefahr noch nicht in seiner Erfahrung verankert ist. Sollte es das verstehen, müsste es erst selbst erleben, wie die Katze überfahren wird. Das aber ersparen die meisten Eltern ihren Kindern zum Glück. Also: Er läuft nicht mehr zur Straße, weil es deine Emotion erlebt hat und daraus merkt: Das geht nicht.

Cool bleiben?

Warum also verlangen wir von uns Eltern, in der Erziehung auf diese wunderbar wirkungsvollen eigenen Emotionen zu verzichten? Immer gelassen und souverän zu sein? Auch wenn etwas im Verhalten unseres Kindes riskant ist? Natürlich riskiert es nicht sein Leben, wenn es andere als Arschlöscher oder Wichser bezeichnet oder ihre Sachen mutwillig kaputt macht. Aber es riskiert einen guten Platz in einer sozialen Gemeinschaft, es riskiert seine soziale Teilhabe, es riskiert, ausgeschlossen zu werden, bei Freunden nicht mehr eingeladen zu werden, und ich denke, das ist ebenfalls für die Entwicklung von Kindern sehr gefährlich.

Mein Tipp, wenn ein Kind mutwillig etwas zerstört: Den Anfängen wehren, das Kind direkt anschauen und „Stopp!“ sagen. Den Schaden wieder gut machen und sich bei der Oma entschuldigen.

 

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