Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst auf die 50 zugehe. Dass sich immer häufiger Menschen trauen, mir zu berichten, wie mies sie sich fühlen, weil sie sich zwar um ihre alten Eltern kümmern, das aber nicht aus freiem Herzen tun, sondern aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus, nicht gerne. Dass sie deswegen eine schlechtes Gewissen haben, sich als undankbar empfinden, sich selbst hassen und von sicher erwarten, sie müssten das gerne tun.
Sind wir verpflichtet, uns um unsere alten Eltern zu kümmern?
Ja, einerseits. Natürlich haben uns unsere Eltern groß gezogen, und wer sonst soll sie im Alter versorgen, wenn sie es selbst nicht mehr können?
Andererseits: Eltern geben ihren Kindern. Die geben wiederum ihren eigenen Kindern. Und gerade ältere Geschwister haben meistens schon als Kinder recht viel abbekommen, während die jüngeren in ihrem Kielwasser entspannter geschwommen sind.
Es gibt ein paar Dinge, die helfen, Familien über Generationen glücklich zu halten, und das heißt auch: Aus freien Stücken verbunden. Und andere, die schaden. Wie Menschen in einer Familie zueinander stehen, wer wofür verantwortlich ist, ist nicht frei verhandelbar. Es gibt bestimmte Ordnungen, die das Zusammenleben fördern – oder das Leben ersticken. Und die Frage, wer dafür zuständig ist, sich um älter werdende Eltern zu kümmern, spielt dabei eine wichtige Rolle.
Eltern sorgen für ihre Kinder. Das ist gut. Eltern geben viel, sie bekommen von ihren Kinder weniger zurück. Das ist richtig so. Kinder bekommen mehr als sie jemals zurückgeben können. Deshalb geben sie nicht den Eltern zurück, sondern ihren eigenen Kindern. Oder einer guten Sache, einem sozialen Zweck, wenn sie selbst keine Kinder haben.
Was aber wird aus den alten Eltern?
Erst einmal kümmern sie sich um sich selbst, solange sie können. Damit meine ich gar nicht die körperliche Sorge. Die macht den meisten Kindern nicht am meisten zu schaffen. Aber vielleicht hast du auch einmal erlebt, dass es Eltern gibt, die von ihren erwachsenen Kindern erwarten, dass die regelmäßig vorbei schauen? Um ihnen etwas abzunehmen, das sie eigentlich selbst tun könnten oder das gar nicht unbedingt nötig ist. So habe ich kürzlich mit einer Frau gesprochen, die bei ihren Eltern alle 4 Wochen die Fenster putzt, weil „sich das so gehört“. Die Mutter kann es nicht mehr. Die Frau aber, die für ihre Eltern das Putzen übernommen hat, hat selbst Kinder und einen Vollzeitjob, und sie selbst hat ihre eigenen Fenster schon seit Monaten nicht mehr geputzt. Sie hat keine Zeit dafür. Für ihre Wohnung hat sie eine Putzfrau engagiert, die ihr alle zwei Wochen hilft. Anders käme sie gar nicht herum.
Auch ihre Eltern hätten genug Geld für eine Putzhilfe. Sie möchten aber keine. Die taugen alle nichts, sagen sie, und außerdem wollen sie niemanden Fremden in der Wohnung.
Nein, habe ich der Frau gesagt: Das ist nicht deine Aufgabe, das für deine Eltern zu tun. Es ist nicht deine Aufgabe, sie in ihrer Sturheit zu unterstützen. Zuerst kommen deine eigenen Kinder, die dich brauchen. Dann kommst du, soweit wie nötig, damit du auch noch in einem Jahr auf beiden Beinen stehst. Da hat sie geweint vor Erschöpfung und Verzweiflung.
Haben Eltern die Erwartung, ihre Kinder sorgen dafür, dass sie weiterhin so leben können, wie es ihnen bequem ist im Alter, dass sie Gesellschaft haben (vielleicht, weil sie sich wenig um eigene Freundschaften gekümmert haben), dass sie Bestärkung bekommen oder das Gefühl, noch Einfluss zu haben, dann läuft etwas falsch.
Es ist gut, wenn wirklich Pflege gebraucht wird, dass die Kinder da sind. Allen voran das, was vielleicht am meisten geerbt oder bekommen hat. Wenn das nicht der Fall ist, vor allem das Jüngste. Es hat es meistens in der Kindheit am leichtesten gehabt und nicht nur von den eigenen Eltern gelernt und bekommen, sondern auch von seinen Geschwistern. Das Kümmern beinhaltet das Nötige, das, was die Eltern selbst nicht mehr können, selbst wenn sie wollten, und was sie auch nicht organisieren könnten. Geht es also ums Putzen, so darf eine Tochter ruhig auch Nein sagen und die Arbeit delegieren. Und ist die Pflege eines Elternteils zu aufwändig, körperlich, zeitlich oder emotional, dann ist es wichtig, auch dort Hilfe zu holen: Gute, liebevolle und wertschätzende Hilfe, so gut es geht. Und bei den Kosten dafür zu helfen, wenn die Eltern es sich nicht leisten können.
Kein Kind ist aber dafür zuständig, Eltern ihre Einsamkeit abzunehmen – sie emotional zu stützen, ihnen Halt zu geben oder gar ihr ganzer Lebensinhalt zu sein. Dann geht etwas gewaltig schief