Gerade habe ich ein Zitat gefunden, das ich mit euch teilen möchte. Anthony de Mello sagt: „Nur zu oft sehen wir die Menschen nicht, wie sie sind, sondern wir sehen sie, wie wir selbst sind.“
Projektion bedeutet genau das: wir sehen in anderen etwas, das mit uns selbst zu tun hat. Es ist nicht so, dass wir genau das sind, was wir sehen. Wenn ich das Verhalten eines anderen Menschen so deute, dass er wütend ist, dann heißt das nicht, dass ich eigentlich selbst wütend bin. Ich benutze den anderen also nicht wie einen schlichten Spiegel (obwohl das häufig behauptet wird). Aber ich sehe ihn durch einen Filter. Dieser Filter ist meine Erfahrung: alles, was ich erlebt habe, alles, was mich geprägt hat, alle Themen, die für mich eine Bedeutung haben.
Stellen wir uns noch einmal vor, dass da ein Mensch ist, der laut und eindringlich spricht. Ich denke: der ist wütend. Ein anderer denkt: der hat Selbstvertrauen! Ein dritter denkt: ein stattlicher, gut aussehender Mann. Ein vierter: der ist bestimmt nicht ehrlich.
Über den Menschen, den wir viel beobachten, ist daraus nicht wirklich etwas zu schließen. Wohl aber über uns vier, die wir etwas über ihn sagen (oder denken). Nämlich, welche Themen uns beschäftigen. Das, was wir in den anderen projizieren, also „hinein werfen“, das ist etwas, was uns bewusst oder unbewusst beschäftigt.
Und ab diesem Moment wird es spannend. Es geht nämlich gar nicht darum zu sagen: oh je, ich denke, der ist wütend, aber damit unterstelle ich dem was, wie komme ich nur dazu, und wie kann ich meine eigene Wut finden? Nein: es geht um etwas anderes: wenn ich bewusst bemerkt, dass ich immer wieder darauf achte, in welcher Stimmung jemand gerade ist, dann habe ich irgendein Thema damit. Etwas in mir beschäftigt sich damit und ist damit nicht im Frieden. Es kann sein, dass ich selbst wegen meiner Gefühlslage (oder besonders wenn ich wütend war) immer wieder kritisiert oder abgelehnt wurde. Vielleicht hatte ich als Kind jemanden in meiner Familie, der gefährlich war, wenn er wütend war, so dass es wichtig war, schnell zu bemerken, in welcher Stimmung jemand ist. Das habe ich dann gelernt, und wahrscheinlich gibt es in mir immer noch einen Teil, der aufpasst und auf der Hut ist, bereit, sich schnell zu verstecken, wenn jemand Anzeichen von Wut erkennen lässt.
Wenn ich also aufmerksam beobachte, welcher Art meine Projektionen sind, also das, was ich glaube in anderen zu sehen, und beginne, bestimmte Themen als häufig zu bemerken, bekomme ich dadurch wichtige Hinweise auf das, worum ich mich im Innern kümmern sollte, um mich weiter zu entwickeln. Man könnte sagen: Meine Projektionen erlauben mir, so ich sie bemerke und nicht für Wahrheiten nehmen („der andere, der IST so!“), viel über mich selbst herauszufinden und zu merken, an welchen Stellen in meinem Innern noch etwas heilen darf. Es ist eine Art Archäologie der Seele: ich grabe auf einfache Weise etwas aus, das noch sortiert werden muss. So schaffe ich in meinem Innern mehr und mehr Ordnung – und Frieden.
Also: was fällt dir an anderen in der Regel spontan zuerst auf? Wofür interessierst du dich? Wie kommst du zu einer Einschätzung? Was bewertest du?
Schaust du auf das Aussehen? Die Stimmungslage? Meinst du, ehrliche von unehrlichen Leuten zu unterscheiden? Interessierst du dich für ihre Motive, „merkst“ du, ob sie gute oder schlechte Absichten haben? Überlegst du, was der oder die wohl von dir halten mag? Die Möglichkeiten sind vielfältig wie unsere Lebensläuft. Werde Detektiv. Deine Projektionen helfen dir dabei!