Wenn wir Diskussionen beobachten, in denen es darum geht, wer Recht hat, wird häufig so heftig um Positionen gekämpft, als würde es um Leben und Tod gehen. Es wird gestritten, bis kaum mehr ein Stein auf dem anderen Steht. Und dabei geht es häufig um ziemliche Belanglosigkeiten. Hätten wir die erste oder die zweite Abfahrt nehmen müssen, um schneller am Ziel anzukommen? Hat Gisela das oder das gesagt? Habe ich dich grimmig angeschaut, oder habe ich dich fragend angeschaut? Welche Farbe hatten nochmal die Sitze von Onkel Herberts Cabrio?
Warum steigern wir uns in solche Diskussionen so hinein? Was wäre schlimm daran, wenn wir uns nicht einigen können, wie die Sitzfarbe von Onkel Herberts Cabrio war? Ändert das irgendetwas am Lauf der Welt? Hat es irgendwelche greifbaren Konsequenzen für unser Leben?
Nein. Es geht um etwas ganz anderes. Wenn wir darauf bestehen, Recht zu haben, stecken wir meistens in ganz alten Mustern. Wir haben früher mal erlebt, dass es schlimm war, sich zu täuschen. Vielleicht wurden wir ausgelacht. Vielleicht wurden wir dumm genannt. Vielleicht hat uns aber auch einfach niemand zugehört, uns niemand etwas zugetraut, sich niemand für unsere Meinung interessiert. Eine alte Wunde, die immer noch schmerzt. Treffen zwei Menschen mit solchen Erfahrungen aufeinander, sind sie bereit sich die Köpfe einzuschlagen – in der Hoffnung, der andere würde akzeptieren, dass sie auf der richtigen Spur sind, es kapiert haben, richtig liegen. Sie wünschen sich eigentlich Anerkennung und Beachtung. Und bekommen sie nicht. Ganz besonders nicht auf diesem Weg.
Was also tun? Es sein lassen. Du bist sicher, die Sitze waren ockerfarben? Ok.
Vielleicht stimmt es ja gar nicht. Aber es ist ja auch egal. Der andere ist glücklich, der Streit vermieden, und was ernten wir? Zuneigung, Sympathie, Wohlwollen. Jedenfalls in 80% der Fälle. Bei den restlichen ist Hopfen und Malz verloren. Sie triumphieren und binden uns auf die Nase, dass sie es halt besser wussten. Sie haben nichts verstanden. Und wir sind um eine Erfahrung reicher: Mit dem da fangen wir ein Gespräch nur noch an, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt. Man muss sich ja nicht mit jedem befreunden.