Viele Menschen plagen sich mit Schuldgefühlen. Man sollte meinen, Schuldgefühle seien im Gegensatz zu anderen belastenden Seelenzuständen eher edel – beweisen sie doch, dass es darunter ein Gewissen gibt.
Nun ist es aber in der psychologischen Praxis so, dass Schulgefühle nur sehr selten in Zusammenhängen auftauchen, in denen sie diese positive Qualität haben. Das ist dann der Fall, wenn man etwas vermasselt hat, jemanden wirklich verletzt hat, vielleicht sogar böswillig oder aus einer Wut heraus, wo man jemandem Schaden zugefügt hat, und das Schuldgefühl sagt: „Hey, da gibt es etwas zu reparieren, kümmere dich darum.“ Dann ist das Schulgefühl der Vorläufer einer Wiedergutmachung, einer guten Tat, die dazu führt, dass die Schuld wieder gutgemacht werden kann und wird. Und alles ist wieder in Ordnung.
In den meisten Fällen, in denen ich als Psychologin in den letzten 20 Jahren mit Schuldgefühlen konfrontiert war, waren diese Schuldgefühle aber alles andere als konstruktiv, und sie waren häufig eher getriggert, also ausgelöst durch frühere, vielleicht ganz alte Erfahrungen, als wirklich mit einem konkreten Ereignis verbunden. Menschen fühlen sich schuldig, weil sie als Kinder ihren Eltern das Leben schwer gemacht haben. Alle Kinder machen ihren Eltern an der ein oder anderen Stelle das Leben schwer, das ist ihr Job, und der Job der Eltern ist es, das auszuhalten. Wer sich deswegen schuldig fühlt, leidet ein Leben lang und fühlt sich ein Leben lang verpflichtet, Eltern das Leben schön oder ruhig zu machen, ohne dass die Eltern deshalb glücklich würden.
Andere Menschen fühlen sich schuldig, weil sie jemanden verlassen haben und der deswegen gelitten hat. Aber es ist so, dass wir uns nicht nur annähern, sondern manchmal auch trennen müssen, dass Schmerz zum Leben gehört, dass wir an Verletzungen wachsen, und dass es unmöglich, ja, vollkommen unmöglich ist, durchs Leben zu gehen, ohne hie und da auch bei anderen Menschen Schmerz auszulösen. Häufig hat dieser Schmerz nicht einmal etwas mit uns selbst zu tun. Wenn ich einer Freundin zum Beispiel sage, dass ich mir Sorgen mache, weil sie jeden Abend eine Flasche Wein trinkt, ist sie vielleicht gekränkt – aber habe ich das wirklich verursacht, oder nicht auch sie selbst, durch die Art und Weise, wie sie meine Sorge interpretiert hat?
Wir müssen andere Menschen nicht ständig vor sich selbst schonen. Wer das versucht, muss sein eigenes Leben aufgeben. Auch das ist eine Art von Schuld. Denn das Leben wurde uns geschenkt, und ein Geschenk zurückzuweisen ist auch eine Art von Verbrechen.
Die meisten Schuldgefühle schaden nur. Sie hindern uns, unser Leben wirklich bis zum Anschlag zu leben, zu lieben, zu handeln und uns dabei selbst treu zu bleiben. Das bedeutet nicht, dass Kompromisse keine gute Sache sind. Aber eben nicht um jeden Preis.
Wenn du selbst unter einem Schuldgefühl leidest, kannst du es auf meiner Deponie entsorgen. Die ist völlig anonym und kostenfrei – klicke hier auf den Link und überzeuge dich selbst. Ich freue mich, wenn sie gut gefüllt wird!