Freiheit ist wichtig. Nicht frei zu sein schmerzt. Ich kenne viele Menschen, die unbedingt frei sein möchten und dafür viel tun. Sie grenzen sich ab. Sie gehen vielleicht keine tiefe Beziehung ein, um niemandem etwas zu schulden oder auf niemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Sie ziehen weit weg von ihrer Familie, die ständig etwas von ihnen erwartet und so weniger Zugriff hat. Sie sorgen dafür, dass sie materiell unabhängig sind, um auf niemanden angewiesen zu sein.
Nur: Dass sich dadurch jemand wirklich glücklich gefühlt hat, habe ich noch nie erlebt. Kein einziges Mal. Dass jemand dadurch sehr einsam geworden ist, dagegen schon. Immer wieder, und auf sehr schmerzhafte Art und Weise. Einsam und verzweifelt, oder einsam und hart.
Unabhängigkeit, die häufig mit Freiheit verwechselt wird, hat mir dieser in Wirklichkeit nichts zu tun. Wer unabhängig ist, braucht niemanden. Und das alleine ist schon ganz und gar unmöglich. Die Suche nach Unabhängigkeit ist von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Denn kein Mensch kann ganz unabhängig leben. Selbst wenn er sein eigenes Stück Land hat auf dem er sich ganz selbst versorgen kann: Obst, Gemüse, ein paar Tiere – so braucht er doch Werkzeuge, die ihm ermöglichen, das Dach zu dichten und hie und da vielleicht einen Schafbock vom Bauern nebenan, um Inzucht unter seinen Tieren zu verhindern. Er braucht andere, und daran geht kein Weg vorbei. Unabhängigkeit ist unmöglich, und wer möglichst große Unabhängigkeit anstrebt, erlebt sein Leben als ständigen Kampf.
Freiheit dagegen ist das, was wir besitzen, wenn wir aus eigener Entscheidung in Abhängigkeit sind: Wenn wir mit dem Menschen zusammen leben, den wir uns frei-willig ausgesucht haben. Wenn wir denjenigen helfen, die wir frei-willig erwählt haben und jene bitte, für die wir uns entschieden haben. Wir sind dann nicht immer frei zu tun, wonach uns gerade ist. Aber interessanterweise ist das gar nicht notwendig, um glücklich und frei zu sein. Wählen wir frei aus, wo wir uns in Abhängigkeit begeben, weil Abhängigkeit einfach notwendig ist, um zu überleben, dann tut es nicht weh, einen Ausflug abzusagen, weil die beste Freundin krank ist und unsere Pflege braucht – und im Gegenzug für uns da ist, wenn es uns dreckig geht.
Damit Freiheit gelingt, muss aber eine Voraussetzung gegeben sein: Wir müssen erstens in der Lage sein zu bitten: Bitte hilf mir. Bitte gieß meine Pflanzen, während ich weg bin (der „Unabhängige“ verzichtet auf Pflanzen zuhause, um genau das nicht zu müssen!), bitte sei für mich da, bitte nimm dir Zeit für mich. Und wir müssen immer wieder überprüfen, ob die Menschen, mit denen wir uns umgeben, uns gut tun, und wenn nein, mit ihnen sprechen: Wie können wir unsere Beziehung verändern? Oder sie notfalls lösen. Das setzt die Bereitschaft voraus, sich unbeliebt zu machen, wenn es notwendig ist. Das setzt voraus, dass wir erwachsen sind: Eigene Entscheidungen treffen und zu ihnen stehen. In aller Konsequenz.