Da hat mir doch kürzlich eine Freundin gesagt: „Ach ja, werden wir wirklich irgendwann vernünftig?“ – „Naja“, habe ich gesagt, „immerhin könnten wir es. Aber das dauert.“
Hirnforscher untersuchen schon lange, welche Bereiche des Gehirns welche Funktionen haben, und wann sie ausreifen. Das Gehirn ist ja beim Säugling noch lange nicht entwickelt, ganz im Gegenteil. Im Laufe des Heranwachsens reifen immer wieder bestimmte Areale aus – manche schneller, andere langsamer.
Der Bereich, der am längsten braucht, ist der Frontale Kortex – ein sehr großer Teil des Gehirns im Stirnbereich. Seine Größe unterscheidet unser Gehirn von dem aller anderen Säugetiere. Er befähigt uns, unser Verhalten zu reflektieren und zu verändern und unsere Impulse zu steuern. Man könnte sagen: Ohne Frontalen Kortex keine Vernunft. Im Umkehrschluss bedeutet das nicht, dass jene Menschen, die ihr Verhalten kaum oder gar nicht steuern (und die immer ihrem spontanen Impuls folgen) keinen Frontalen Kortex besitzen. Es bedeutet lediglich, dass dieser seine eigentlichen Funktionen nicht ordnungsgemäß ausfüllt. Die Gründe dafür sind vielfältig, häufig wurde die Selbstkontrolle nicht gelernt, zu früh wurde eine Sucht entwickelt, die eine Eigendynamik entwickelt hat und die Verhältnisse nach und nach verschlimmert, auch Unfälle können eine Rolle spielen.
Nehmen wir aber an, alles entwickelt sich wie geplant. Dann dauert es bis wir etwa 19 Jahre alt sind, bis dieser Bereich des Gehirns so verschaltet ist, dass er gut funktionieren kann. Aber das ist noch nicht alles. Denn nach und nach legt sich eine dünne Myelinschicht um die Nerven, die dazu führt, dass diese viel schneller leiten als vorher. Das heißt, bis diese fertig ist, ist dieser Bereich des Gehirns immer noch nicht voll leistungsfähig. Bis der Frontale Kortex vollständig myelinisiert ist, dauert es noch einmal mehrere Jahre – und zwar etwa bis ins Alter von 25 Jahren.
Und das ist nun auch das Alter, in dem Autofahrer vorsichtiger fahren; in dem sie nach und nach einschätzen können, dass bestimmte Fahrweisen doch gefährlicher sind als sie dachten; in diesem Alter beginnen junge Menschen auch, ihre Fähigkeiten realistischer einzuschätzen; sie gehen weniger fremd; sie verhüten zuverlässiger: sie betrinken sich seltener (außer, sie sind bereits süchtig), und wenn sie es bis dahin geschafft haben, keine Sucht zu entwickeln, dann haben sie gute Chancen, dass das auch so bleibt.
Vorher sind junge Menschen in Gefahr, je jünger sie mit Suchtmitteln Kontakt haben, umso größer ist das Risiko, dass sie eine langfristige Abhängigkeit entwickeln. Dazu gehören neben Alkohol auch Nikotin, Computerspiele, Süßigkeiten oder Pornos. Umso wichtiger, dass wir Kinder schützen, damit sie als Erwachsene wirklich frei entscheiden können, in Anbetracht der Konsequenzen – mit einem Gehirn, das dazu in der Lage ist und nicht wie das unausgereifte dem gerade größtmöglichen Lustgewinn folgt.